Weil das Gesetz von Karma zwangsläufig und unfehlbar ist, verletzen wir letztlich immer uns selbst, wenn wir anderen schaden; wenn wir sie aber glücklich machen, schaffen wir damit für uns selbst zukünftiges Glück.
Die Logik des Karma
Karma ist ein Sanskritwort und bedeutet „Handlung“ oder „das, was bewirkt ist und bewirkt“ (vom Verb kri: „tun; verursachen, bewirken; planen; ausführen“).
Das Wort Karma weist darauf hin, daß man eine Handlung nie isoliert von den höheren Zusammenhängen betrachten darf. Jede Handlung ist eingewoben in eine universale Gesamtheit von Aktionen und Reaktionen, die alle einer geistigen Gesetzmäßigkeit unterstehen, dem Gesetz des Karma, d. h. dem Gesetz von Aktion und Reaktion.
In der Physik ist das Gesetz von Aktion und Reaktion eine Selbstverständlichkeit. Bereits im grundlegenden Physikunterricht lernt man, daß jede ausgesandte Energie etwas auslöst, da Energie nie verlorengeht. Das Gesetz des Karma zeigt auf, daß dieses Gesetz nicht nur auf der physikalischen Ebene gilt, sondern auch auf höheren Ebenen, denn Energie geht auf keiner Ebene verloren. Ja nur weil das Gesetz von Aktion und Reaktion auf den höheren Ebenen wirkt, findet man es auch im Bereich der verdichteten, mechanischen Materie vor, und so konnte der Vater der modernen Physik, Isaac Newton, 1687 in fachgerechten Latein sein drittes Axiom der klassischen Mechanik formulieren: actio = reactio. Wenn zwei physikalische Körper aufeinander Kräfte ausüben, so sind diese Kräfte von der Wirkung her gleich und entgegengerichtet.
In welcher Form gilt dieses Gesetz im geistigen Bereich? Lesen wir zuerst, was eine westliche Lexikondefinition (Brockhaus Enzyklopädie) zum Thema „Karma“ sagt:
Karma bezeichnet ein universales Gesetz, nach dem das Leben eines Menschen die Folge seiner Handlungen in früheren Leben darstellt, ebenso wie seine Handlungen im gegenwärtigen Leben mögliche Ursache für die Form eines späteren Lebens sind. Alle Wesen, auch die Götter, unterliegen dem Karma.
Diese Ausführungen sind nicht falsch, aber sie können schnell zu Mißverständnissen führen. Bedeutet das Gesetz des Karma, daß alles vorausbestimmt ist? Ist alles, was anderen zustößt, eine Folge ihrer eigenen Aktionen? Ist es meine Schuld, wenn andere mir etwas antun? Waren diejenigen, die Folterung, Völkermord, Konzentrationslager usw. erlitten, etwa selber schuld? Bedeutet das Gesetz des Karma, daß das Opfer schuldig und der Täter unschuldig ist?? Oder gibt es einen freien Willen? Wenn ja, worin besteht er? Wie hängen Karma und Reinkamation zusammen? Was ist Gottes Stellung in bezug auf das Gesetz des Karma? Warum unterliegen sogar die Götter dem Gesetz des Karma? Ist das Gesetz des Karma unerbittlich, unumgänglich, unüberwindlich?
Karma: Jeder hat Verantwortung
Wenn wir über das Gesetz von Karma (Aktion und Reaktion) sprechen, müssen wir immer zuerst definieren, von welcher Seite aus wir eine Situation betrachten: von der Seite der Aktion (Ursache) oder von der Seite der Reaktion (Wirkung)?
Etwas von der Seite der Reaktion aus zu betrachten bedeutet: Wie reagiere ich auf eine eingetroffene Situation? Wie lasse ich mich von dieser Wirkung und der entsprechenden Ursache beeinflussen? Welchen Sinn erkenne ich für mich in dieser schönen oder weniger schönen Situation?
Etwas von der Seite der Aktion aus zu betrachten bedeutet: Wer hat die Ursache gesetzt? Wer ist verantwortlich? Wenn nicht ich der Täter war, dann stellt sich die Frage, welche Rolle oder welche Verantwortung mir in dieser Situation zukommt. Damit schließt sich der Kreis von der Aktion zur Reaktion, denn jede Aktion, mit der ich zu tun habe, fordert eine Reaktion.
Auch die Frage von Täter und Opfer sollte aus dieser differenzierten Sichtweise betrachtet werden. Das Opfer sollte nicht einfach in der Opferrolle ausharren, denn das würde bedeuten, daß es auf dem Standpunkt der Aktion stehenbleibt: „Wer hat mir dies angetan? Wie kann er bestraft werden?“ Für diese Fragen ist in erster Linie die Justiz zuständig. Das Opfer sollte weitergehen und die andere Seite der Situation, die Reaktion, anschauen: „Wie reagiere ich auf das, was geschehen ist? Welche Herausforderung verbirgt sich darin für mich?“ Die Art des Reagierens führt direkt zu einer bestimmten Aktion, die wiederum Reaktionen auslöst.
Das Gesetz des Karma spricht also nie die Täter frei und die Opfer schuldig. Wer so etwas behauptet, verwechselt Ursache und Wirkung und hat dieses Gesetz offensichtlich nicht verstanden.
Das Gesetz des Karma macht uns bewußt, daß jede Handlung (Aktion), die wir ausführen, eine gleichwertige, ausgleichende Reaktion verursacht. Wer immer zu einem Täter wird, wird sich irgendwann einmal den entsprechenden Reaktionen stellen müssen. Vielleicht kann er sich den irdischen Instanzen entziehen, aber den höheren Instanzen kann man nie entrinnen.
Das Gesetz des Karma weist also zuallererst auf die große Verantwortung hin, die mit jeder unserer Handlungen verbunden ist, sogar über dieses eine Erdendasein hinaus. Wenn ein Täter meint, er könne sich durch Selbstmord der Verantwortung entziehen, erlebt er ein böses Erwachen auf der „anderen Seite“. Solange die verdienten Reaktionen nicht aufgelöst werden (durch Zugeben‚ Bereuen, Sühne und Wiedergutmachen sowie durch göttliche Gnade), verfolgen sie den Täter unerbittlich — wie Rachegöttinnen. Die Griechen nannten sie Erinyen, die Römer Furien. Andere Kulturen sprechen hier, etwas mißverständlich, vom „Zorn Gottes“.
Das Gesetz des Karma wirkt nach dem Verursacherprinzip. Wer eine Ursache setzt, ist für die Wirkung verantwortlich. Im irdischen Bereich mag es Verursachern gelingen, sich aufgrund von finanzieller und politischer Macht ihrer Verantwortung zu entziehen und die negativen Folgen auf andere abzuwälzen, aber das ist eine kurzsichtige Rechnung. Aktion ist immer mit Reaktion verbunden‚ und das Wissen um das Gesetz des Karma mahnt uns: Sei bewußt, was du tust, denn du bist für alles, was du tust, ja sogar für alles, was du sagst und denkst, verantwortlich.
Karma ist nicht einfach ein Glaubenssatz der indischen Philosophie, sondern ein geistiges Gesetz. Obwohl gewisse Christen das Karma-Gesetz und erst recht die Reinkarnation ablehnen, finden wir auch in der Bibel deutliche Hinweise:
„Jeder wird ernten, was er gesät hat.“ (Brief an die Galater 6.7)
„Wie du getan hast, so wird dir geschehen. Deine Tat fällt zurück
auf dein Haupt.“ (Buch Obadja, Vers 15)
„Steck dein Schwert weg; denn wer zum Schwert greift, wird
durch das Schwert umkommen.“ (Mt 26.52)
Nichts ist Zufall
Das Gesetz der Polarität zeigt, daß nichts in dieser Welt ohne sein Gegenteil existiert und daß Gegensätze sich ergänzen. In seinen Gegensätzen ist das Materielle zusammenhängend. Polarität ist das Hauptmerkmal des Relativen, und die grundlegendste Polarität ist die Verknüpfung von Ursache und Wirkung. Das bedeutet zweierlei:
(1) Das Karma-Gesetz gilt nur im Bereich des Relativen.
(2) Solange man sich im Bereich des Relativen befindet, befindet man sich unter dem Einfluß des Karma-Gesetzes. Die Frage ist nur: Wie weit lasse ich mich von der Verstrickung in Aktion und Reaktion beeinflussen oder gar fesseln?
Alles, was geschieht — das Erfreuliche wie das Unerfreuliche —, hat eine Ursache und wird seinerseits wieder Ursache neuer Reaktionen. Nichts geschieht ohne Grund. Nichts ist Zufall.
Aber das ist nur die eine Seite der Wahrheit, die, wenn man sie einseitig betrachtet, zu einer Halbwahrheit wird, zu einer Verabsolutierung des Gesetzes von Aktion und Reaktion: „Alles‚ was ich anderen zufüge, haben diese anderen verdient. Es ist ihr Karma, untertan zu sein, und es ist mein Karma, mächtig zu sein. Wäre es nicht ihr Karma, würde es mir nicht gelingen, sie untertan zu machen. Aber die Tatsache, daß es mir gelingt, zeigt, daß es ihr Karma ist. Nichts ist Zufall!“
Diese Formulierung mag überspitzt klingen, aber übertrieben ist sie nicht. Es gibt mehr Wesen auf der Erde (und in den unsichtbaren Welten), die so denken, als die meisten Menschen ahnen. Wenn das Absolute, Gott, nur ein abstraktes, neutrales Prinzip wäre — kosmische Energie, das Universum, das Brahman —, dann entspräche die obige Ansicht der Wahrheit; Energie und Naturgesetze wären die höchste Realität, und diese Realität wäre gott- und geistlos, weil Geist (Bewußtsein, freier Wille und Individualität) nur ein spätes, zufälliges und vergängliches Nebenprodukt der Materie wäre.
Das Gesetz des Karma ist zwar universal gültig, ist aber nicht das höchste Gesetz. Es ist nicht der Mensch, der bestimmt, was die Karma-Reaktion von anderen Menschen ist. Nicht das Relative ist das Maß aller Dinge, sondern das Absolute (Gott).